Kürzlich las ich einen Artikel zu “New Pay”.
Neben “New Work” soll “New Pay” einer der Grundpfeiler von “New Work” sein und neue Vergütungsansätze für Unternehmen aufzeigen.
Es geht im Grunde um eine faire, transparente Vergütungsstruktur, deren Höhe unter Beteiligung der Mitarbeitenden festgelegt wird.
Wen oder was im Unternehmen adressiert “New Pay” ?
- Das Verhalten der Mitarbeitenden?
- Strukturelle Themen?
- Unternehmenskultur?
- Zahlt es auf den Unternehmenszweck ein?
- Passt es zu den im Unternehmen herrschenden Grundüberzeugungen?
Das sind nur ein paar Fragen, die man sich als erstes stellen sollte, bevor man überlegt, den Ansatz von „New Pay“ weiterzuverfolgen.
Am Ende adressiert “New Pay” übrigens nur die Sozialhygiene. Für den Unternehmenszweck ist “New Pay” vollkommen irrelevant.
Ist es genug, die Sozialhygiene zu adressieren?
Ansätze wie New Pay oder New Work stellen die Mitarbeitenden in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Sie schaffen einen Haufen neuer Probleme, die entstehen, weil wir versuchen, Methoden über eine Struktur zu stülpen, die gar nicht in der Lage ist, die notwendigen Änderungen zu verkraften. Der neue Anstrich führt erst mal zu viel Euphorie und später zu neuen Managementpraktiken. Irgendwie müssen wir die ganzen offenen Fragen, deren Antworten wir noch nicht kennen, weil uns das Wissen in der Organisation fehlt, ja trotzdem versuchen, in den Griff zu bekommen.
Löst das irgendwelche Probleme unserer Kunden? Nein. Es führt aber zu einem mehr an interner Beschäftigung.
In dem Artikel heißt es, flache Hierarchien, mehr Eigenverantwortung und ein transparentes Arbeitsumfeld ginge stark mit der Vergütung der Mitarbeitenden einher.
Was, wenn ich weder flache Hierarchien habe, noch ausreichend Eigenverantwortung der Mitarbeitenden habe, weil vorherrschende Rahmenbedingungen das gar nicht zulassen? Was mache ich dann mit dem “New Pay” Ansatz?
Vergütung soll fair sein, heißt es in dem Artikel.
- Die Fairness soll hergestellt werden durch das Ersetzen von 4-Augen-Gehaltsgesprächen durch Gruppendiskussionen. Also Teamentscheide.
- Die Bitte um eine individuelle Gehaltsanpassung soll durch die übernahme einer gemeinsamen Verantwortung ersetzt werden.
- Forderungen nach einem höhere Gehalt sollen Machtverhältnisse zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzten verstärken.
Es steht außer Frage, dass Vergütung fair sein soll und es steht außer Frage, dass wir in manchen Branchen neue Vergütungsmodelle benötigen. Auch mehr Transparenz, viel mehr Transparenz sogar ist überfällig.
Als Vorschlag zur Implementierung von “New Pay” wird aufgeführt, die richtigen Vorbereitungen (Leistung gewichten und bewerten) treffen zu müssen, festzustellen, wie sich der eigene Unternehmenserfolg messen lässt und wer die Entscheidungen trifft und dazuzulernen.
Bevor wir anfangen, über eine Änderung der Vergütungsstruktur nachzudenken, müssen wir uns aber erst mal intensiv mit einigen Fragen unserer Organisation befassen.
- An welchen Stellen benötige ich mehr Agilität?
- An welchen Stellen muss ich Steuerung neu ausrichten?
- Welche Unternehmensbereiche zahlen mit Ihrer Arbeit direkt auf den Unternehmenszweck ein?
- Welche Unternehmensbereiche sind eher mit intern referenzierten Themen befasst und warum?
- Welche künftigen Strukturen benötigen wir, um den Unternehmenszweck wieder ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit zu rücken?
- Warum sind unsere Vergütungsstrukturen heute so, wie sie sind?
- Gibt es Unzufriedenheit mit der heutigen Vergütungsstruktur?
Wenn wir diese Fragen beantwortet haben, geht’s erst richtig los.
- Lässt meine Branche eine andere Vergütungsstruktur zu?
- Wie gehe ich mit Gewerkschaften und Betriebsräten um?
- Was mache ich, wenn ich Teil eines Tarifvertrages bin?
Sie ahnen es bereits, es werden Jahre vergehen, bis sie halbwegs da sind, wo sie vielleicht hinwollen.
Egal ob Homeoffice, New Work oder New Pay. Mit vereinten Kräften versuchen wir Organisationen, die kaum in der Lage sind, sich in einem hochdynamischen Marktumfeld zu behaupten, eine Methode überzustülpen, die in keiner Weise zu den vorherrschenden Rahmenbedingungen passt. Und genau hier liegt aus meiner Sicht das Problem vieler “New” Ansätze.
Projekte werden aufgesetzt, Change-Initiativen ergriffen und Berater durchgeschleust. Mit viel Glück geben wir nur viel Geld aus und der Rest verpufft in der Wirkungslosigkeit.
Wenn wirklich neue Wege gehen wollen, dann sollten wir uns einmal zurückbesinnen auf den Unternehmenszweck und uns vor Augen führen, wofür wir mit unserem Unternehmen einmal angetreten sind. Die Reise, die wir von dem Punkt aus beginnen, wird uns Erkenntnisse schenken, die es am Ende möglich machen, Rahmenbedingungen zu etablieren, die Transparenz zulassen. Eigenverantwortung wird gefördert, Mitarbeitende werden wirksam und zufrieden sein. Beschäftigung wird auf ein absolutes Minimum reduziert. Wenn wir da sind, können wir uns über alles weitere Unterhalten. Von mir aus auch über die eine oder andere „New“ Methode.
Neue Methoden zu etablieren, ohne an die Strukturen zu gehen, ist nichts anderes als immer mehr Dinge anzuschaffen, nur weil man es gerade tut und niemals etwas wegzuschmeißen. Am Ende leben wir in einer Messi-Wohnung.
Lassen wir die Mitarbeitenden einfach mal für den Moment in Ruhe, parken den Wunsch nach der neuen, so sexy wirkenden Methode und betrachten mit viel Neugierde unsere Organisation. Erst wenn wir verstanden haben, welches das wirkliche Problem ist, sollten wir beginnen zu handeln.
Boris Wehmann hat viele Jahre als CFO eines in Hamburg ansässigen Unternehmens gearbeitet. Heute ist er Unternehmensberater und Sparringspartner für CFO’s.
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